Der Autor Hans-Dieter Schütt schreibt zu diesem Hörbuch:
“Wir Menschen sind … ja, was sind wir? Den Weg der Antwortsuche säumen Warnschilder. Wer den Dichter Georg Trakl (1887-1914) liest, erfährt erschüttert, wie Größe und Scheitern die gleiche Wurzel haben können.
Diese Doppel-CD “Offenbarung und Untergang” – Fühmanns Kontroverse mit Trakl von und mit Klaus Löwitsch (Aktivraum-Verlag, Köln), greift das Thema so erregend wie erregt auf. Ausgangspunkt ist das 1982 erschienene Buch “Vor Feuerschlünden”, Franz Fühmanns (1922-1984) große Selbstbefragung angesichts der Erfahrung mit Georg Trakls Lyrik.
“Ich, Löwitsch, bin zu Trakl über Fühmann gekommen – ein Erlebnis aus zweiter Hand”, sagt der Schauspieler auf der CD. Er liest Fühmann, der Trakl las; und er liest Trakl. Rekapituliert die Biografie eines “nicht lebbaren Lebens” und versucht eine dramaturgische Verzahnung, so dass man zwei Leben wie ein einziges Schicksal aufnimmt.
Hört man diese Aufnahme, verwischt sich zunächst die Wahrnehmung: Was ist Fühmanns Text, was Trakls? Zwei Dichter, eine Stimme – ineinanderfließende Erlebnisschichten, die der Schauspieler Löwitsch als aufstörende Gegenwärtigkeit beschwört. Der enthusiastische Nationalsozialist Fühmann, später der leidenschaftliche Kommunist – Trakls Lyrik wird ihm zur Kraft, die alle ideologisch einbetonierten Gewissheiten aufsprengt. Das Gedicht als Weltveränderer, indem es das Denk- und wohl mehr noch Glaubensuniversum eines Menschen ins Wanken bringt. “Wir wissen nichts von den Prozessen des psychischen Stoffwechsels”, Löwitsch presst es verzweifelt, fast anklagend hervor.
Trakls Gedicht, das den Verfall erzählt wie ein wundes, geheimnisvolles Märchen, wird dem Dichter Fühmann zum Zeichen für Kommendes: Unter dem, was sich als neue Welt so unerschütterbar gibt, beben bereits die Grundmauern. Gültig ist dies für alle Zeiten – und für jede Zeit, die eine Schneise zweifelsfreier Utopie ins unwägbare Gelände zu schlagen versucht. Immer mit dem “Feuerschein der Hölle” erhellt sich das Bewusstsein für dieses Gesetz: dass die jeweiligen Erretter der Menschheit am Ende nur ihre neuen Peiniger sind. Nur die Freiheit von Ideologie, nur der Austritt aus einer Welt der von Ideen überfüllten Leere könnte ein Weg sein; es ist ein sehr individueller Weg, und diese Freiheit ist beheimatet – in der Heimatlosigkeit, im Außenseitertum.
Und Löwitsch? Wahrscheinlich ist es diese Fremdheit im eigenen praktischen Leben, die dieser neuen Arbeit Löwitschs den Untergrund des Bedrängenden, Herzgetroffenen, Aufgehetzten gibt. Mit “Offenbarung und Untergang” hat er einen Stoff in Händen, der seiner ist. Den er erobert, indem er sich ihm unterwirft. Mit inspiriertem Übermut, mit sentimentaler Hingabe, mit einem wirklich eigenen Atemzug.“Hans-Dieter Schütt, gekürzte Fassung
Es ist ein Licht, das der Wind ausgelöscht hat
Klaus Löwitsch spricht „Offenbarung und Untergang“ – Fühmanns Kontroverse mit Trakl
mit Musik von Markus und Simon Stockhausen, Jo Thönes, Gary Peacock, Fabrizio Ottavuci und Zoro Babel
„Georg Trakl: Die Biographie eines nicht lebbaren Lebens – ein Dasein verfallener Poesie, ein Dasein, verfallen an Gift und Inzest (…) Verfall, der dann jäh in den Selbstmord stürzt“. So wie auf der Doppel-CD „Offenbarung und Untergang“ von Klaus Löwitsch gesprochen, hat man Georg Trakl bisher sicher nicht gehört – atemlos, gehetzt, in Chiffren. Löwitsch auf der Spur zweier Zerrissener in zwei Kriegen, selbst ein Ruheloser.
„Ich, Löwitsch, bin zu Trakl über Fühmann gekommen, über Franz Fühmann zu Georg Trakl, ein Erlebnis aus zweiter Hand.“ Kleist, Hölderlin, Lenz, die Günderode, Grabbe und Stifter führt er an als Zeugen für das nicht lebbare Leben, das doch gelebt werden muss. Er nähert sich Franz Fühmann, der als 23-jähriger vor dem zertrümmerten Deutschland vom enthusiastischen Nationalsozialisten in der Reiterstandarte des „Führers“ zum überzeugten Kommunisten geworden ist – und Georg Trakl, der Fühmann mit seiner Lyrik die Augen geöffnet und den Weg gezeigt hat. Er ist sicher nicht der letzte gewesen, dem Trakls Schicksal, Lyrik und verzweifelter Tod diese Einsichten ermöglicht hat.
Plotin hat gesagt: „Das Auge hätte die Sonne nie gesehen, wäre es nicht selbst von sonnenhafter Natur“. Löwitsch entdeckt diese Natur in Trakl und Fühmann über dessen Buch „Vor Feuerschlünden. Erfahrung mit Georg Trakls Gedicht“, das er als Textvorlage benutzt, neu. Er führt die Seelenverwandtschaft weiter, spricht Fühmann und in dessen Text Trakl – entdeckt diesen für sich, begreift ihn, beginnt, seine Gedichte zu interpretieren: „Untergang“, „Das tiefe Lied“, den Karl Kraus zugeeigneten „Psalm“, die erste Fassung von „Verfall“. Diese und viele andere fügt er in die Biographie Trakls ein, dessen früh verwildertes und zerstörtes Leben er nicht idealisiert – das ist es, was dieses Hörbuch so fesselnd macht. Brief-Auszüge wie der vom November 1912 an den Freund Buschbeck fließen ein. Rauschgift, Alkohol, Huren. „Delirium“, „Der Schlaf“ (2. Fassung) – „Traum und Umnachtung“, die Schuld des Inzestes mit seiner Schwester, Verwirrung, Krieg, Tod durch Kokain – ein tragisches Leben mit konsequentem Ende. Ein Vermächtnis. Georg Trakl starb vor 90 Jahren am 6. November 1914. Franz Fühmann starb vor 20 Jahren am 8. Juli1984. Klaus Löwitsch starb am 3. Dezember 2002.
Die kongeniale Ergänzung der Texte durch die eingeflochtene und rahmende Musik Markus und Simon Stockhausens aus den Alben „Despite the fire-fighters´ efforts“ und „Cosi Lontano…Quasi Dentro“ macht aus Klaus Löwitschs brillantem Hörbuch ein aufwühlendes, hautnahes persönliches Erlebnis. Stockhausens großartiges meditatives, tief innerliches Spiel auf Trompete und Flügelhorn erreicht die Sphären, in denen auch Trakls Gedichte die Zeiten gültig überdauern. Mit „Offenbarung und Untergang“ liegt ein Gesamtkunstwerk vor.Online Music Magazine (OMM), 26. Nov. 2004, von Frank Becker