nonDuality

Achtung Starkstrom Improvisation! Intensive Klangreisen der beiden Stockhausen-Brüder, ihr vorerst letztes großes gemeinsames Werk auf CD.

Zufall war es und dazu ein gelungener, dass der Kölner Trompeter Markus Stockhausen zu Beginn des neuen Jahres 2005 bei dem Kölner Label Aktivraum gleichzeitig zwei neue Produktionen mit außergewöhnlicher aktueller Improvisierter Musik veröffentlichte.
In ihrer Unterschiedlichkeit verdeutlichen „nonDuality“ und „Lichtblick – prima, altrove …“ eindrucksvoll die große Breite dieses Trompeters, dem es wie kaum einem anderen europäischen Musiker seines Fachs immer wieder gelingt, mit einem sehr eigenen Profil und persönlichen Stil identifiziert zu werden. Alle Bemühungen, ihn in irgendein bewertendes, wiedererkennbares Fach der aktuellen Musik zu packen, misslingen, werden von ihm selbst widerlegt.
„nonDuality“ zeigt ihn zusammen mit seinem Bruder Simon, der mit Synthesizer und Sampler, wie auch auf dem Sopransaxophon zu hören ist. Unterschiedlicher in ihrer musikalischen Konzeption können Brüder kaum sein. Simon hat, wie Markus selbst sagt, „ein sehr offenes Weltbild“, bewegte sich unter anderem in der Nähe von Pop- und aktueller elektronischer Musik. Markus ist vom Jazz, der Klassik und Avantgarde geprägt. Und dennoch haben beide rund zwanzig Jahre in den verschiedensten Gruppierungen zusammen gespielt und bereits neun gemeinsame CDs eingespielt.
„nonDuality“ ist nun keine Quintessenz dieser 20 Jahre gemeinsamen Musizierens, sondern ein neuer Meilenstein, mit dem die Brüder ihre Musik als Teil eines weltweiten, musikalischen Geschehens verstehen.
Dies unterstreichen sie gleich zu Anfang nach Durchschreiten von „Portal“ mit dem Titel „Weltfenster“, in dem sie eine „funkige Reise“ durch die Welt antreten, mit Unterstützung von Stimmen aus Afrika, China, Saudi-Arabien und anderen Ländern. Schlagzeuger Andrea Marcelli treibt die Reise spannungsvoll an, während Markus ständig neue Bilder vermittelt, getragen von dem packenden Soundteppich seines Bruders, eine Art von Kommunikation, die sich durch die ganze Aufnahme zieht.
„Freitagsglocken“ beschwört das Intuitive in der Musik, das einen wesentlichen Teil der Konzeption von Markus ausmacht, eine bewegende Besinnung, die an die Atmosphäre einer von Gregorianischem Gesang erfüllte Klosterkirche erinnert.
„Harlekino“ führt in die Gegenwart zurück, wobei die Personifizierung des Harlekins in Simons Sopransaxophon das Spielerische, aber auch zugleich das Vordergründige und Vergängliche markiert.
Mit „Transit“ geht die Reise ins Irreale, um dann nach der unheimlichen und bedrohenden „Endzeit“ in einer „Neuzeit“ anzukommen. Egal ob die musikalische Idee und ihre geniale gemeinsame Realisierung oder die Titel der einzelnen Stücke zuerst waren, auf eine geradezu traumhafte Weise gelingt es den beiden Brüdern in ihrer offensichtlich spontanen Kommunikation, die sie als konzipierte Improvisationen beschreiben, das Bild einer Weltreise in Form einer siebenteiligen Suite zu entwerfen. Außer vom Schlagzeuger Andrea Marcelli bei „Weltfenster“ und „Endzeit“ werden sie bei „Neuzeit“ auch von der niederländischen Klarinettistin Tara Bouman auf ihrem Weg in eine hoffnungsvolle Zukunft begleitet.

Veröffentlicht:
2004

Künstler:
Simon Stockhausen
Sopransaxophon, Synthesizer, Sampler
Markus Stockhausen
Trompete, Flügelhorn
Tara Bouman
Klarinette)
Andrea Marcelli
Percussions)

Tracks:
Portal 02:37
Weltfenster 11:10
Freitagsglocken 04:41
Harlekino 05:13
Transit 02:50
Endzeit 08:29
Neuzeit 08:05

Label
Aktivraum, AR 10102

Erhältlich:
Amazon
iTunes
Spotify
…und im Handel.



Olaf Bartsch in: klassik.com, 29. Jan. 2005

Achtung Starkstrom Improvisation!

Die Brüder Markus und Simon Stockhausen sind die Söhne des berühmten Komponisten Karlheinz Stockhausen. Dem Leser sei aber gesagt, dass der Apfel, zumindest bei dieser CD, eher weiter vom Stamm gefallen ist, als erwartet. ‘nonDuality’ ist ein musikalisches Werk, basierend auf der jahrelangen und fruchtbaren Zusammenarbeit der beiden Brüder.

Dennoch unterscheiden sich beide auf den ersten Blick sehr. Markus ist eher als Jazzer bekannt und wurde auch durch Klassik und Avantgarde geprägt. Mit anderen Veröffentlichungen auf dem deutschen Label für Neue Musik ‘Aktivraum’, bei dem auch ‘nonDuality’ erschienen ist, zeigt er eine sehr große musikalische Bandbreite. Simon Stockhausen arbeitet mehr im Bereich der Populären Musik sowie aktueller elektronischer Musik.
Wie entsteht solche Musik?
Generell nahm die Musik auf ‘nonDuality’ folgende Entwicklung: Zunächst wurde nach allen Regeln und Freiheiten mit den akustischen Instrumenten, also hier der Trompete, dem Flügelhorn und dem Sopransaxofon, improvisiert. Sicherlich entwickelte sich hierbei das Grundgerüst eines Stückes. Danach bearbeitete und bereicherte besonders Simon das akustische Ausgangsmaterial mit Computer, Sampler und Synthesizer, sowie mit Sprachaufnahmen aus verschiedenen Ländern der Erde. Des Weiteren wurden andere Instrumente mit in die Aufnahme integriert. Die Niederländerin Tara Bauman, auch aktiv bei ‘Aktivraum’, spielt Klarinette. Andrea Marcelli Schlagwerk und andere Perkussionsinstrumente. Als Summe hat man nun, keine einfache Mischung mit der man begeistern will, sondern sehr differenzierte musikalische Aspekte aus Jazz und elektronischer Musik komplett auf einer CD.
Hört es sich gut an?
Die CD beginnt mit dem Stück ‘Portal’. Gleich am Anfang hört man einen Glockenklang. Ruhig und erhaben zieht sich dieser Klang abwechselnd durch die ganze CD. Fast wie ein Bachchoral leitet ‘Portal’ mit den weichen und zarten Bläsersätzen die musikalische Reise ein. Keine schwere Kost, sondern sehr delikat. Der Titel ‘Weltenfenster’ folgt. Dieser entstand bereits im November 2002. Elektronische Drumsounds, wie sie aus der Popmusik bekannt sind, bilden hier mit zusätzlich durch Andrea Marcelli eingespielte Perkussionsklänge das rhythmische Gerüst, gepaart mit Jazz inspirierter Harmonik gespielt vom Flügelhorn und der Trompete. Sprachsamples aus vielen Teilen der Welt fügen sich hinzu. Man kann sich das ganze wie ‘Chill-Out’ Musik mit modernem Jazz vorstellen. Leider wird der Titel, der ganze 11 Minuten lang ist, dann wirklich ‘chillig’ und langweilig. Der synthetische Aspekt der Musik kann sich dem Ideenreichtum des akustischen Teils nicht anschließen.
‘Freitagsglocken’ beginnt natürlich auch mit Glockenklängen. Einfach, aber mit sehr viel Gefühl improvisiert Markus auf dem Flügelhorn zu sphärischen elektronischen Klängen, die harmonisch leicht gesetzt sind. Rhythmisch dominanter wird es mit ‘Harlekino’, wobei durch elektronische Filter und andere Effekte die Perkussionsinstrumente mystisch wirken. Das Stück scheint sich nicht entscheiden zu können, in welche Richtung es gehen will. Mal langsam, schnell, spielerisch, mystisch. ‘Transit’ zeigt den Weg zum nächsten Stück. ‘Transit’ ist düster und im Gegensatz zu ‘Portal’ dissonant ausgelegt, zumindest für Nicht-Jazzer.
‘Endzeit’. Jetzt geht es richtig los. Eine tief wummernde Basedrum bildet das zwar langsame, aber kräftige Fundament, zu dem sich abwechselnden Improvisationsspiel zwischen elektronischen Effekten, akustischen Schlagzeugsoli und Trompete. Kräftig und sehr dynamisch. Die Basedrum wirkt dabei wie ein orientierender Herzschlag zum formlosen intuitiven Spiel der anderen Instrumente. ‘Neuzeit’ bildet zwischen den letzten beiden Stücken den einzigen aber wunderschönen Kontrast auf der CD. Sehr effektvolle Synthesizer Streicher schmiegen sich wie ein Kissen an die konsonante Harmonik der Klarinette. Mit sehr viel Gefühl begeistert das ruhige Stück ohne rhythmisches Element über 8 Minuten lang. Unglaublich. Bei einer Spiellänge von 43 Minuten ist die CD zu Ende.
Wie ich meine, ein beeindruckendes Werk. Wie sich auf dieser CD, mal harmonisch, mal dissonant, dann rhythmisch und dann wieder völlig frei die einzelnen Stimmen bewegen, ist einfach großartig. Es ist gelungen, moderne elektronische Musik und deren Vielfalt zu bändigen und mit der Harmonik des Jazz intuitiv und dabei interessant zu verbinden. Leider hätte ich mir an manchen Stellen mehr Konsequenz in eine musikalische Stimmung gewünscht. Dabei hätte auch der elektronische Teil der Musik mehr Selbstvertrauen hinsichtlich der Spielfreude zeigen können.

Dieter Wackerbarth in Jazzpodium, 1. Mai 2005

nonDuality: Lichtblick – prima, altrove…

Der Kölner Trompeter Markus Stockhausen ist zweimal mehr als Meister der Improvisierten Musik zu hören.

„nonDuality“ zum ersten. Fern jeden Formatzwangs formt er Klangbilder, zelebriert Impressionen, kollagiert Stilistiken von Ethno über Jazz bis hin zur Avantgarde im Bereich Neuer Musik auf den Spuren seines Vaters oder eines Arvo Pärt. Glockenklang zu Beginn mutet an wie der Auftakt eines fernöstlichen Rituals. Gregorianische Reminiszenzen lassen Bilder einer Klosterkirche aufsteigen. Messglöckcheninspirationen bilden den Ausgang für „Freitagsglocken“. Stimmen aus diversen Ländern Afrikas und Asiens sind über hartem Funk Groove zu hören, Jasper van’t Hof und Pili Pili lassen grüßen. Bedrohlich kommt ein apokalyptisches Szenario mit wabernden Elektroniksounds daher. Erinnerungen werden wach an Miles Davis’ Weltuntergang von 1985 auf „You’re under arrest“. Nicht von ungefähr wählt Markus die Klangfarbe des harmon mute. Einer Götterdämmerung gleich erklingt am Schluss die Neuzeit. Ein Wispern und Vibrieren über Schwebeklängen. Quartseptseligkeit und Progressionen in slow motion. Die so unterschiedlichen Kleinodien bilden eine 7-teilige Suite. Der Begriff „Komposition“ trifft nur bedingt zu, denn es handelt sich um offensichtlich spontane Kommunikation, „konzipierte Improvisation“, wie sie’s nennen. Markus (tp, e-tp, voice, inside piano, shakers, bells, synthi) präsentiert sich mit seinem Bruder Simon (synthi, sampler und sopran sax) als wunderbar harmonisches Duo. Sie blicken auf eine über mehr als zwei Jahrzehnte währende musikalische Partnerschaft zurück. Hier wechseln sie sich in Melodiepart und Begleitung ab, ergänzen sich in jeder Beziehung traumwandlerisch intuitiv. „nonDuality“ bedeutet: im Zusammenspiel der beiden entsteht etwas Neues, gewissermaßen Drittes, in der Summe mehr als die „Teile“. Ergänzt werden sie bei zwei Stücken per overdubs durch den Italiener Andrea Marcelli, der durch akzentuiertes Drumming für Verve sorgt, sowie durch die niederländische Klarinettistin Tara Bouman. Ihr ist im Duo mit Simon die „Neuzeit“ vorbehalten, dieses Klangbild einer hoffnungsvollen Zukunft – Vorklang schon vom Himmel auf Erden und Wohltat für in Hektik aufgeriebene Zeitgenossen.
Die CD „Lichtblick – prima, altrove“ knüpft dort an und endet in dieser Manier. Insgesamt geht es hier aber weitaus jazziger zu. Die Improvisationen sind überwiegend traditionell eingerahmt vom Thema eingangs und am Schluss. Das aktuelle Trio mir dem Schlagzeuger Christoph Thomé und dem Pianisten Angelo Comisso ist in Aufnahmen vom Juni 2004 zu hören, die in Triest nach einem Festival-Auftritt in Udine entstanden. Kompositionen von Comisso, Stockhausen und eine Gemeinschaftskreation bieten nachdenkliche, balladeske Themen und verhaltene, teils überaus zarte Charakteristiken im Wechsel mit zupackenden Stücken, allen voran „Hasmin“. Comisso stürzt los mit ungestümen, schnellläufigen Riffs, wie sie zuletzt in „In my garage“ vom Esbjörn Svensson Trio zu hören waren („Seven Days Of Falling“). Markus legt eine wunderhübsche Melodie darüber, Thomé wirbelt und sorgt für furiosen Drive. Das ist Aufregung pur, höchstes Glück und größte Anstrengung in einem. Natürlich darf die Elektronik-Collage nicht fehlen, gewissermaßen die Stockhausensche Familientradition im „Green sky burning“. Mit dem harmon mute Dämpfer kommt „Belflor“ sehr eindringlich daher. Es mutet an wie eine weitere Hommage an Miles Davis und liegt auf der Linie der für Miles damals komponierten Suiten (z.B. Palle Mikkelborgs „Aura“). Sterbensschön betört „Elegia“: romantisch, verträumt, ähnlich der „Neuzeit“-Seelenbalsam und ein Fall für die repeat-Taste. Einfallsreichtum, Spielfreude und kongeniales Miteinander kennzeichnen dieses gleichberechtigte Trio: ausdrucksstark in den Themen, versiert in der Begleitung, irisierend in den Soli. Hervorgehoben sei hier Thomés Beckenzauber beim „Go on“. Man kann dem Fazit von Hans-Jürgen von Osterhausen nur beipflichten: „das inspirierte Zusammenspiel von drei Musikern, die sich glücklicherweise gefunden haben“.


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