von Stephan Pieper, Jazzthetik 03/13
Yin, Yang und Tanzendes Licht
Ausnahmetrompeter trifft Ausnahmeorchester – so einfach könnte man die gemeinsame CD von Markus Stockhausen und dem Hilversumer Metropole Orkest auf den Punkt bringen. Doch sie Ist noch mehr: ein tönendes Argument für den Erhalt des bedrohten Klangkörpers.
Wärme verbreiten diese Klangflächen, die zu Beginn von Markus Stockhausens Kompositionen „Yin“ und „Yang“ einem Sonnenaufgang gleich alles in orangefarbenes Licht tauchen. Was sich daraus entwickelt, gehört zum Elegantesten, am feinsten Gearbeiteten. was ein Orchester überhaupt hervorbringen kann, wenn es – wie das Hilversumer Metropole Orkest – so viel stilsichere Jazzkultur mit sinfonischer Ausdruckswelt vereint. Der Trompeter und Komponist Markus Stockhausen hat dem Orchester eine Musik auf den Leib geschrieben.
„Es gibt in Europa keinen weiteren vergleichbaren Klangkörper“, zeigt sich Stockhausen dankbar für die Chance dieser Zusammenarbeit. Sie ist zudem ein Plädoyer für den Erhalt kultureller Institutionen im Zeitalter ungezügelter Wirtschaftsmacht, denn das Metropole Orkest ist akut in seiner Existenz gefährdet, wenn die öffentliche Förderung binnen der nächsten vier Jahre eingestellt werden soll.
Die vielbeachtete Aufführung, die vom Intuition- Label auf CD gebannt wurde, beginnt mit den Auftragskompositionen „Yin“ und „Yang“, gefolgt von dem weitgespannten Stück „Tanzendes Licht“ und einem euphorisch vorwärtstreibenden „Felice“ als Finale. Wo siedelt Stockhausen selbst diese Musik innerhalb seines weitgespannten künstlerischen Spektrums an? „Ich sehe die Produktion schon im Jazzbereich. Es kommt aber auch meine klassisch-zeitgenössische Basis zum Ausdruck. Es sind die Jazzmusiker mit ihrer lmprovisationskenntnis, die das Kolorit geben. Ich habe früher selber viel Bigband gespielt. Da werden ganz bestimmte Gefühle wach, da steckt eine ganz andere Power hinter.“
Im Zusammenwirken mit dem international profilierten Klangkörper passiert musikalisch eben das, was Stockhausen sich schon lange wünschte. Der sinfonisch-cineastische Gestus entwickelt sich weiter, wird bewegter und expressiver und fängt vor allem im zweiten Teil immer mehr rhythmisches Feuer. Solisten reichen in teilweise betont trickreichen Konstellationen das Staffelholz weiter. Das Orchester webt feinste Klangfarbenteppiche. „Yin“ ist gewissermaßen ein Experiment. Sanft kommt es in ansteigenden Wellen daher. Das zweite Stück „Yang“ ist rhythmischer, expressiver und hat stärkere Spitzen. Alles gipfelt in der Intensität von „Tanzendes Licht“ und schwingt dann mit “Felice“ fröhlich aus. Man könnte bei den langen, sinnlich atmenden Melodiebögen an die Suiten eines Duke Ellington denken, und die temporär aufflackernden spanischen Einsprengsel gepaart mit mediterran aufglühenden orchestralen Farben wecken so manche Assoziation an den großen Gil Evans. „Klar sind das auch Musiker, die ich sehr verehre. „Sketches of Spain“ ist einfach eine grandiose Platte“, räumt Stockhausen ein. „Aber ich habe sie seit 30 Jahren kaum gehört. Ich schreibe alles aus meinem Gefühl, meiner Fantasie heraus. Der Stil entwickelt sich erst beim Komponieren.“ Gefühl bedeutet beim Komponisten und Arrangeur Markus Stockhausen auch die vorbehaltlose Einfühlung in den vorhandenen Klangkörper: „Wenn ich schreibe, versuche ich mir genau vorzustellen, was da für Musiker sitzen. Und hier hat sich alles nun so wunderbar ergeben“
Was er über die Musiker, vor allem über die hervorragenden Solisten erfuhr, bestärkte seine kompositorische Fantasie. Dann erfüllte sich alles während der Probenwoche in Hilversum: „Es ist ein fantastisches Orchester, ich habe es sehr schätzen gelernt in dieser Woche der Zusammenarbeit. Da sind wunderbare Musiker, die einfach fit auf allen Ebenen sind. Das ist einzigartig in Europa. Das entspricht vielleicht dem, was Filmmusikorchester sind in Los Angeles. Hier in Europa kenne ich sonst keine Institution, die so ein Orchester vorzuweisen hat. Und die Zusammenarbeit mit dem jungen englischen Dirigenten Jules Buckley gelang auch sehr gut, er versteht meine Musik.“
Und da sind wir auch schon bei der brennenden Existenzfrage, die sich für den renommierten Klangkörper, gewissermaßen das Pendant zum Royal Concertgebouw Orkest, stellt. Das Orchester stand schon vor dem unmittelbaren Aus. „Es war ein ganz hartes Ringen“, weiß Stockhausen. „Das Orchester sollte 2013 geschlossen werden, jetzt haben sie eine Verlängerung bekommen bis 2017, also werden sie noch weitere vier Jahre vom Staat gefördert, nachdem viele Proteste von allen Seiten eingegangen sind. Aber dann soll endgültig Schluss sein, dann soll das Orchester auf eigenen Beinen stehen können. Oder eben nicht. Denn ein Orchester dieses Formats mit Chefdirigent, Solisten et cetera muss sicher mit vier bis fünf Millionen Euro pro Jahr gestützt werden, um überhaupt existieren zu können.“
Also ist es ein wichtiges Signal, dass das Orchester beim renommierten Holland Festival 2011 mit einem so prominenten Komponisten eine derart fruchtbare Verbindung eingegangen ist. Und auch mit einem traumwandlerischen Solisten, denn natürlich soliert der multistilistische TrompeterMarkus Stockhausen -ausgiebig und ausdrucksstark im Stück „Tanzendes Licht“.
Stockhausens Fazit nach dieser Zusammenarbeit: „Man muss einfach mit allen Mitteln darauf dringen, dass dieses Orchester erhalten bleibt.“
Kritik aus: concerto, 2 Apr 2013by KaDe
Markus Stockhausen And The Metropol Orkest
Stockhausen komponiert mit offenen Sinnen für die Musik und Tonalitäten aller Kulturen, ohne je den Blick für die europäische Musiktradition und den Jazz zu verlieren
[…] Einer der perfektesten Großklangkörper Europas auf dem Höhepunkt seiner Klangkraft spielt und interpretiert Markus Stockhausen, der hier speziell für das Orchester und seine Solisten komponierte. Zwei Stücke, mit den Titeln „Yin“ und „Yang“ starten die musikalische Reise durch Stockhausens Klangkosmos. Stockhausen gestaltet die spirituellen Aspekte der beiden divergierenden Pole, die nur im Einklang ein Ganzes ergeben, mit all seinen Möglichkeiten und Klangfarben aus. So wird das Orchester zum Vermittler weit größerer Gedanken und Anschauungen. Der feste Gastdirigent Jules Buckley vermittelt seinerseits die musikalische Formensprache Stockhausens präzise und tiefgründig. Stockhausen komponiert mit offenen Sinnen für die Musik und Tonalitäten aller Kulturen, ohne je den Blick für die europäische Musiktradition und den Jazz zu verlieren. So muss moderne Orchestermusik klingen.