17.2.2007 – M. R. Loeb

Improvisation

Ein Interview mit Markus Stockhausen durch den Musikstudenten Max Robayo Loeb im Februar 2007.

Wie würden Sie freie Musik definieren?
Spontanes, schöpferisches Musizieren, im günstigen Fall kommt sogar gute Musik dabei heraus…

Wann und wie fingen Sie an mit der freien Improvisation?
Bereits als 18jähriger spielte ich bei meinem Vater bei einer Aufnahme von “Bird of Passage” (EMI/Chrysalis) mit. Später, in den achtziger Jahren, hatte ich lange eine Gruppe unter dem Namen KAIROS (die Qualität des Augenblicks), wir spielten viele Konzerte in wechselnden Besetzungen. Mit meinem Bruder Simon Stockhausen führte ich diese Arbeit später fort unter dem Projektnamen “Possible Worlds”.

Wie haben Sie sich gefühlt?
Am Anfang war ich einfach neugierig und begeistert, meinen Ideen frei Ausdruck verleihen zu können.

Gab es Momente, in denen Sie unsicher waren? Wenn ja, warum?
Unsicher manchmal vor dem Spielen, beim Spielen selbst selten.
Mir war auch bewusst und es ist noch immer noch so, dass meine Fähgigkeiten begrenzt sind, Fähigkeiten der Wahrnehmung und der Umsetzung, das heisst der instrumentalen Fertigkeiten und des spontan-kompositorischen Spielens. Die Musik, die bei der freien Improvisation heraus kommt, ist nur so gut wie die Spieler, und das hängt von ihrer Fantasie, ihrer Ästhetik, ihrem sozialen Verhalten und vor allem von ihrem Können ab.

Haben Sie Workshops oder Kurse besucht, um frei improvisieren zu lernen?
Nein, ich habe improvisieren gelernt in verschiedenen Jazzstilen, und dann kommt man unweigerlich auch mit freien Formen in Berührung. Ich war 1973 und 1974 bei den Remscheider Jazzkursen. Die Lehrer waren die bekanntesten deutschen Jazzmusiker, darunter Manfred Schoof, Alexander von Schlippenbach. Und die spielten natürlich hauptsächlich freie Musik. Das beeinflusst unterbewusst, weil man Möglichkeiten sieht.

Kann man improvisieren lernen?
Ja, improvisieren kann man lernen. Wie eine Sprache. Wie viele Sprachen. Es ist allein die Frage, wie intensiv, wie ernsthaft man das betreibt. Man übt Techniken, Skalen, spielt viel mit anderen, guckt sich Dinge ab, hört Musik anderer. Das, was man liebt, nimmt man in sich auf.

Welche Gründe haben Sie improvisierte Musik zu spielen?
Freie Improvisation ist für mich eigentlich die anspruchvollste Art Musik zu machen, man ist Interpret und Komponist in einem, es verlangt alles, ist deshalb auch so fordernd und zugleich erfüllend. Und es braucht Vertrauen. Dies zu guter Musik zu bringen ist nicht leicht.
Freie Musik hat die Möglichkeit einen sehr direkten Zugang zum Zuhörer zu schaffen. Der Zuhörer wird Teil des kreativen Prozesses.

Wie üben Sie diese Musik?
Allein: ich versuche die Ideen, die ich in diesem Moment habe, möglichst fehlerfrei auszudrücken.
Mit anderen: zusammen spielen, dann darüber sprechen, eventuell Aufnahmen gemeinsam abhören. Ansonsten sind Konzerte die besten Proben.

Wie wichtig ist die Instrumentaltechnik in der freien Improvisation?
Das hängt zunächst von der Stlilistik ab, innerhalb der man sich bewegen will. Man kann auch mit sehr einfachen Mitteln sehr schöne Improvisationen gestalten.
Dann aber würde ich sagen: Sehr wichtig. Je besser man sein Instrument beherrscht, in der Technik, in der Tongestaltung, desto vielseitiger und freier kann man sich ausdrücken. Sonst bleibt man immer beschränkt durch die engen, eingeübten Floskeln. Freie Musik wird erst dann interessant im Zusammenspiel, wenn die Spieler einen reichen “Wortschatz” haben, vielseitig musikalisch ausgebildet sind – und: gut aufeinander hören!

Gibt es gute bzw. schlechte Improvisationen? Wenn ja, was sind die Kriterien?
Ja, wie bei aller Musik, es gibt gehaltvolle und weniger interessante Musik, kunstvoll gemachte und banale, faszinierende und langweilige. Kriterien sind u.a.: ob die Spannungsbögen gut sind, ob etwas ausgesagt wird, ob es interessant ist, ob es handwerklich gut gespielt ist, und für mich: ob es auch schön ist, ja, schön! Ich höre mir lieber schöne Musik an, die mir gut tut, als Musik, bei der ich mich schlecht fühle. Das ist natürlich für jeden anders. Aber ich halte nichts von der freien Improvisation, die nur als Ventil genutzt wird um seine “inneren Probleme auszukotzen”. Zu oft wird die freie Musik zum Abfalleimer der menschlichen Psyche, der menschlichen Problematik. Es ist viel schwerer, etwas Schönes zu machen, was uns erhebt, begeistert, formt, was einen Weg zeigt.

Braucht man Erfahrung um gut improvisieren zu können? Wenn ja, warum?
Diese Frage erübrigt sich eigentlich. Auch ein Kind kann improvisieren. Aber ein Kind wird nicht das spielen können, was ein Keith Jarret in einem Solokonzert spielt. Die Skala ist grenzenlos, nach oben und nach unten. Erfahrung macht reich. Wer viel gespielt hat kennt sich besser aus.

Wie wichtig ist für Sie die Form in dieser Musik?
Die Form ist so wichtig wie der sonstige Inhalt, wie die Klangfarben, die Harmonik, Rhythmik usw. Es gibt keine Musik ohne Form. Nur wird in der freien Musik die Form oft vernachlässgt, alle spielen einfach drauflos. Dabei gelten dieselben Kriterien wie in der komponierten Musik. Proportionen von Abschnitten, das Verhältnis von Spielen und Nichtspielen, Polyphonie, Kontrapunktik, die Verarbeitung von thematischem Material, die Beschränkung auf ein ausgewähltes Material für eine Improvisation usw.

Woran denken Sie, wenn Sie improvisieren? (Bilder, Klänge, Situationen, Farben usw.)
Ich denke nichts anderes als die Musik. Ich höre, und versuche das innerlich Gehörte möglichst genau umzusetzen, ohne Verzögerung. Also “folge” ich eigentlich nur. Das Denken ist dann mit dem “wie” der Ausführung beschäftigt, oder mit der Analyse der Musik um mich herum. Gelungenes freies Spiel hat mit Nicht-Denken zu tun, wie im Zen. Spielen findet statt. Und es gibt das Gefühl, das mich erhebt antreibt, anfeuert, begeistert, enttäuscht, die innere Ablehnung, das Aussteigen, dann wieder einsteigen wenn ich es wieder fühlen kann usw. – ein weites Feld.

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