Sabine Melchiori, 2013

Intuitive Musik als geistiger Schulungsweg

Markus Stockhausen und das Intuitive Music Orchestra zu Gast am Landesmusikgymnasium.

Ein ganz besonderes musikalisches Ereignis mit im wahrsten Sinne des Wortes „un-erhörten Klängen“ konnte man am 3. September am LMG erleben.
Um den kreativen Prozess der Intuitiven Musik erfahrbar zu machen, fand am Vormittag des 3. September zunächst für alle Schülerinnen und Schüler des LMG ein Gesprächskonzert des IMO statt, bei dem neben der Musik auch grundlegende musikalisch-philosophische Fragen behandelt wurden wie z.B. „Woher weiß ich, wann ich dran bin oder wann die Musik zu Ende ist?“ etc. Es wurde deutlich, dass es bei dieser intuitiven Art des Musizierens sehr stark darauf ankommt, ganz im Hier und Jetzt zu sein und sich ausschließlich auf den jeweils nächsten Schritt zu konzentrieren, immer in Verbindung zu den Mitmusikern.
Dieser vielleicht etwas „vergeistigt“ klingende Prozess setzt in der Praxis oftmals durchaus spielerisch-heitere Energie frei, da stilistisch praktisch keine Grenzen gesetzt sind und dem freien assoziativen Spiel der Klänge und Töne viel Raum bleibt. So wurden auch schon mal Turnhallenwände und Kinder „abgeklopft“, der Basketballkorb besungen oder mit Hilfe von Elektronik die Stimme verfremdet, sodass auch das jüngere Publikum voll auf seine Kosten kam.
Am Nachmittag schloss sich ein zweieinhalbstündiger Workshop an, an dem ca. 80 Schülerinnen und Schüler aktiv teilnahmen sowie ungefähr die gleiche Anzahl an passiven „Beobachtern“. Ursprünglich war das Workshopangebot eher für ältere Schüler mit entsprechenden instrumentalen Vorkenntnissen konzipiert; umso schöner war jedoch, dass auch einige mutige jüngere Schüler sich angesprochen fühlten und problemlos integriert werden konnten. Zu Beginn gab es einen intensiven musiktheoretischen Kurzabriss über die verschiedenen Skalen als Improvisationsgrundlage, der den einen oder die andere sicherlich zunächst etwas überfordert haben mag. Markus Stockhausen war es jedoch wichtig, gleich am Anfang deutlich zu machen, dass es sich bei intuitiver Musik nicht um pure Beliebigkeit handelt, sondern darum, möglichst genau die Tonsprache des musikalischen Partners hörend zu verstehen und adäquat darauf zu reagieren. Dazu braucht es ein geschultes Ohr und grundlegendes Wissen über die verschiedenen Skalen/Tonleitern – auch jenseits von Dur und Moll. Anschließend ging es „in medias res“ in Form von verschiedenen Improvisations-Kleingruppen, teilweise instrumentenspezifisch, teilweise gemischt, die jeweils von ein bis zwei Dozenten angeleitet wurden. Hier war zunächst einmal Mut gefragt, denn jeder war mal dran mit Improvisieren und das Ergebnis wurde auch durchaus kritisch reflektiert. Das große Finale bestand aus einer Kollektivimprovisation in der Turnhalle in einem großen Kreis mit über 80 Schülern aller Jahrgangsstufen, die Markus Stockhausen mit eigens entwickelten Handzeichen dirigierte. Hierbei entstand schon nach kurzer Zeit ein echtes Miteinander, auch über Altersgrenzen und Statusunterschiede hinweg. Durch den ständigen Wechsel von Tutti-Passagen und kleinen solistischen Dialogen war die allgemeine Konzentration und Klangsensibilisierung sehr hoch, sodass am Ende tatsächlich ein gemeinsames Feld entstanden war, das Sechstklässler wie Schulleiter gleichermaßen erfasste – mit vielen kleinen musikalischen Perlen und sehr berührenden Momenten, nicht zuletzt für Markus Stockhausen selbst:
„Ich sehe an den Hochschulen, bei jungen Musikern und anderen, die zu mir in die Kurse kommen, dass sie hungrig sind nach dieser Möglichkeit, selbst kreativ zu werden, sich besser auf ihrem Instrument auszukennen und sich zu lösen von der klassischen Sprache, von dem normalen, studierten, gelernten Spiel, und Selbstvertrauen zu haben in die eigenen Töne. So wie ich es auffasse, ist es auch ein geistiger Schulungsweg, intuitive Musik zu machen.“
Am Ende eines langen und ausgefüllten Tages konnte man das Intuitive Music Orchestra und seinen Leiter Markus Stockhausen noch einmal in seiner ganzen Ausdrucks- Bandbreite erleben. Beim öffentlichen Konzert am Abend waren der stilistischen Vielfalt der Musiker sowie deren Zusammenspiel kaum Grenzen gesetzt. Und bei der Zugabe wurde sogar das Publikum in den Prozess des „Instant Composing“ mit einbezogen, indem jeder Zuhörer einen Ton nach Wahl singen und gleichzeitig beobachten sollte, wie aus dem entstandenen Cluster sich allmählich doch so etwas wie Harmonie einstellt. So war die (vermeintliche) Trennung zwischen Zuhörern und Musikern nun vollends aufgehoben und alle trugen ihren Teil zum gemeinsamen Feld bei – ein sehr verbindendes Erlebnis für alle Beteiligten!
Der namhafte Trompeter, Komponist und Improvisator Markus Stockhausen hat sich mit der Gründung seines „Intuitive Music Orchestras“ einen Traum erfüllt, indem er im Laufe seiner langjährigen Tätigkeit als Musiker und Workshopleiter gleichgesinnte Musiker um sich versammelte, die bereit waren, gemeinsam neues musikalisch-geistiges Terrain zu erkunden. Im Gegensatz zu jeder Art von komponierter oder auch improvisierter Musik, die stets nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten funktioniert, geht es bei der intuitiven Musik darum, sich selbst in eine „lauschende“ Grundhaltung zu begeben, um im Moment des Spielens empfänglich zu sein, um das auszudrücken, was im Moment ausgedrückt werden will. Dies erfordert einerseits musikalisch-technische Souveränität, andererseits aber auch größtmögliche Flexibilität, um jenseits der bewährten Improvisationsmuster wirklich Raum für Intuition zu kreieren, die zusammen mit den Mitmusikern gleichsam als Feld entsteht.
„Für mich ist es, wenn man es ernst nimmt, die herausforderndste Art Musik zu machen, aber auch die natürlichste und erfüllendste“, so Markus Stockhausen. „Bei vielen Konzerten erlebe ich, dass das Publikum begeistert dabei ist und zuhört, weil es irgendwie spürt: Da geschieht ein kreativer Prozess, und der Zuhörer erlebt sich als Teil davon, auch wenn er jetzt nicht selber mitspielt.“




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