Ein Glasperlenspiel

Konzert für Solotrompete, Harfe und Akkordeonorchester
Auftragswerk des Norddeutschen Philharmonischen Akkordeon-Orchesters Cuxhaven e.V.

Die Uraufführung von EIN GLASPERLENSPIEL fand am 1. Dezember 2012 im Beethovensaal, Hannover statt, mit dem Norddeutschen Philharmonischen Akkordeon-Orchester Cuxhaven (NPAO). Weitere Aufführungen folgten in Wolfsburg, Wilhelmshaven, Cuxhaven, und im Brucknerhaus in Linz. Die Aufnahme der Uraufführung wurde veröffentlicht auf der CD „Bach – Mozart – Markus Stockhausen“.

Veranstaltungshinweis

Bei einer Aufführung der Komposition “Ein Glasperlenspiel” für Solotrompete, Harfe und Akkordeonorchester werden die Solo-Trompete und Harfe leicht verstärkt. Die Trompete wegen der elektronischen Effekte (Hall, Delay, Harmonizer) an einigen Stellen der Komposition, die Harfe wegen der Lautstärke hie und da.

  • Trompete mit elektronischen Effekten: stereo out vom RME-Audio-Interface mit 2 Jack- (=Klinken-) Kabeln
  • ein Monitor für den Trompetensolisten
  • ein X-stand mit einer Holzplatte darauf 60×90cm für die Elektronik
  • Mikrofon-Verstärkung für die Harfe
  • ein Monitor für die Harfe

Vielen Dank.

Besetzung

Trompete in B und C, Flügelhorn
Akkordeon 1
Akkordeon 2
Akkordeon 3
Akkordeon 4
Akkordeon 5
Akkordeon 6 (elektr. Bass Akkordeon)
Kontrabass
Harfe
Pauken, auch Becken, Shaker, Caxixi, Cabasa
Drum Set, auch Becken, Tambourine, Tamtam

Dauer: 40:20 min

Aktivraum-Verlag Köln,
ISMN: M-700233-33-4

Kritiken

Exzentrischer Dialog
Klassik trifft Moderne
Klassik trifft im Konzert auf Moderne



Mystische Klänge aus dem Faltenbalg

Das Akkordeon, jahrzehntelang ins Abseits der Musikgeschichte verbannt, erlebt eine ungeahnte Wiedergeburt – mit neuen Klängen und jungen Talenten. Jetzt hat der Komponist Markus Stockhausen das Akkordeon entdeckt und ihm eine neue Komposition gewidmet.

Was musste es nicht alles über sich ergehen lassen! Kübelweise wurden Hohn und Spott über dem Instrument ausgegossen, Quetschkommode und Proletenklavier waren da noch die harmlosesten Verunglimpfungen: Das Akkordeon hatte es von Anfang an nicht leicht.
Als im Jahre 1829 der Wiener Klavierbauer Cyrill Demian ein neues Instrument patentieren ließ, das er “Accordion” nannte, hielten es viele Zeitgenossen für ein wertloses Spielzeug, nur dazu geeignet, der Umwelt mit quietschenden Tönen auf die Nerven zu gehen.
In einem Musiklexikon von 1865 hieß es: “Wehe dir, der du das Unglück hast, in den Bereich eines solchen Instruments zu geraten – entflieh, verstopfe deine Ohren, sonst ist Verzweiflung dein Los” und eine zeitgenössische Satire stellte klipp und klar fest: “Das Accordion ohrfeigt die Musik” und bedauerte im gleichen Atemzug, “Man hat noch nicht das Recht, Leute zu töten, die dieses Instrument spielen, aber es ist zu hoffen, dass es so kommen möge”. Der Komponist Anton Bruckner äußerte sich immerhin nicht ganz so drastisch, befand jedoch kurz und bündig “kein sauberer Ton und vor allem kein schöner.”
Aber aller Kritik zum Trotz war die Verbreitung des Instruments nicht mehr zu stoppen. Ungeachtet seiner anfangs tatsächlich mehr als dürftigen musikalischen Möglichkeiten wurde das Akkordeon sehr bald zum “Klavier des kleinen Mannes”, eine Entwicklung die maßgeblich von Matthias Hohner beeinflusst wurde, einem Unternehmer, der schon früh das Potenzial erkannte, das in der Vermarktung des Instruments schlummerte. Um den Verkauf weiter zu forcieren, förderte Hohner das Akkordeonspiel in der Gemeinschaft Gleichgesinnter, in sogenannten Akkordeon-Orchestern. Die Bewegung gewann schnell an Zulauf. Akkordeon-Orchester sprossen wie Pilze aus dem Boden, sehr zum Graus des Bildungsbürgertums und der Gralshüter einer elitären Musikkultur, die sich über die Bemühungen dilettierender Amateure mokierten, sich musikalisch zu betätigen. So schrieb der Kritiker Ehlert noch 1877 „Das Musicieren ist zu einer bestimmten Krankheitsform geworden. Wie man früher die Masern bekam, so bekommt man jetzt das Clavierspielen, womitwohl erst recht das Spiel auf dem Akkordeon gemeint war. Noch in den 50-er Jahren des letzten Jahrhunderts sahen Kritiker in den Akkordeon-Orchestern gar “eine Gefahr für die deutsche Musikkultur” (Armin Fett, 1956).
Damit hatte das Akkordeon seinen Ruf weg, bildete seitdem vor allem die instrumentale Grundierung für die Carmen-umnebelte, heile TV-Brauchtums-Pflege, Quotenrenner im deutschen Fernsehen, und irrlichterte zwischen bierseliger Fröhlichkeit und – dem gegensätzlichen Extrem – zeitgenössischer Neutönerei, die von ihren Protagonisten mit geradezu missionarischem Eifer als allein seligmachend verfochten wird. Eine kurze Blüte erlebte das Akkordeon von 1950 bis -60 als Begleitung zu “pomadigem Tango-Schwoof, bei denen Jünglinge mit Schmalztolle auftraten in verschwitzten Tanzlokalen mit Papierblumen-Exotik” (DER SPIEGEL)
Mit dem Beginn der Beat-Ära, der Jugendrevolte, dem Einzug von elektronischen Gitarren und Verstärkern in die Lebenswelt der Baby-Boomer, wurde das Akkordeon in den Augen der jugendlichen Beat- und Rockfans schließlich vollends zur belächelten Kuriosität. Als muffig und altbacken verachtet, fristete das Instrument ein Schattendasein in spießigen Akkordeon-Vereinen, die selbst einer vergangenen Zeit anzugehören schienen. Als dann noch in den 80-er Jahren das Traditionshaus Hohner in finanzielle Schieflage geriet und die Verkäufe radikal einbrachen, schien das Ende des Akkordeons endgültig besiegelt. Nur mit Investoren aus Fernost überlebte Hohner, stark geschrumpft, die Krise, leidet aber seither unter dem Verdacht, billige Bauteile aus chinesischer Massenproduktion in seinen Instrumenten zu verwenden, was Akkordeon-Puristen zunehmend irritiert.
Denn Qualität ist unter Akkordeonisten längst wieder gefragt. Tatsächlich hat sich in den letzten Jahrzehnten das Bewusstsein der Akkordeonszene grundlegend verändert. Nicht mehr Bescheidenheit und stilles, verschämtes Spiel in Turnhallen und auf Betriebsfesten ist die Sache der neuen, jungen Solistengeneration, sondern selbstbewusstes, offensives Auftreten mit dem Impetus einer künstlerischen Botschaft.
Wegbereiter dieses neuen Selbstbewusstseins waren vor allem russische Akkordeonisten wie Viktor Romenko, Aleksander Dmitriev oder Friedrich Lips, die mit dem Bajan, der russischen Variante des Akkordeons, und mit Bach, Scarlatti und anderen Heiligen des Klassik-Repertoires die westlichen Konzertsäle eroberten.Aber auch europäische Virtuosen wie Richard Galliano, der unbestrittene König des Jazz-Akkordeons, die Finnin Maria Kalaniemi, oder der junge Denis Patkovic, der für die Einspielung der Goldberg-Variationen den Preis der Süddeutschen Zeitung für die beste Klassik-CD des Jahres 2008 erhielt und über den die Neue Musikzeitung schrieb: “Das bekannte Werk klingt auf einmal …wie ein unbekanntes Wesen in fremder Umgebung. Der Lohn ist aufregende Frische, ein ganz neues Erleben des scheinbar allzu Vertrauten”, trugen entscheidend zur Emanzipation des Akkordeons bei.
Auch technisch hat das Akkordeon enorm aufgerüstet. Teure handgemachte Stimmzungen, nahezu geräuschlose, aufwendige Mechaniken, Free-Bass-Manual und höchste Tonqualität kennzeichnen heute die besten Konzertakkordeons, die auf Bestellung ausschließlich handgefertigt werden und für die man in etwa den Preis eines Autos der oberen Mittelklasse anlegen muss.
Längst hat sich das Akkordeon auch an den Musikhochschulen als reguläres Studienfach etabliert. Die jungen Musikstudenten stehen dabei in der Tradition der klassischen Moderne und der neuzeitlichen Tonsprache, denn es mangelt an klassischen Kompositionen, wie sie allen anderen Instrumenten zur Verfügung stehen.Die Erfindung des Akkordeons im 19. Jahrhundert kam für das Instrument zu spät, um noch von den Komponisten des Barock und der “Wiener Klassik” profitieren zu können, und neuzeitliche Komponisten machten, besorgt um ihren guten Ruf, um das als “Kaschem-menorgel” verunglimpfte Instrument einen großen Bogen. Ausnahmen wie Rudolf Würthner und Hugo Herrmann wagten es immerhin, klassische Kompositionen für das Akkordeon zu bearbeiten und steuerten selbst auch eigene Stücke bei, die aber außerhalb der Akkordeon-Gemeinden kaum Beachtung fanden.
Inzwischen existiert eine fast unübersehbare Zahl neuzeitlicher Kompositionen für das Akkordeon, meist als Solo-Stücke angelegt, wobei die kompositorische Qualität oft durchaus zu wünschen übrig lässt. Viele fühlen sich zwar berufen, nur wenige aber haben trotz Kompositionsstudium das Potenzial, wirklich Bleibendes zu schaffen.Die Säulenheiligen der Klassik von Bach bis Brahms und von Mozart bis Mussorgsky gehören deshalb nach wie vor zum Standardrepertoire aller Profi-Akkordeonisten, zumal die zeitgenössischen Neutöner mit ihren bemüht avantgardistischen Hervorbringungen allzu oft das eh schon zahlenmäßig kleine Publikum vollends aus dem Saal treiben.
Die neue Aufbruchstimmung, die das Akkordeon wieder in das Blickfeld der Musikexperten rückt, repräsentiert nichts eindrucksvoller als ein Ensemble, das sich erst vor wenig mehr als einem Jahr in Norddeutschland zusammenfand: Das Norddeutsche Philharmonische Akkordeon-Orchester International (NPAO). Der Name ist durchaus Programm. Abseits der noch immer von deutschem Vereinsleben geprägten heimeligen Akkordeonszene und fern von gemütvoller Volksmusik und Seemannsromantik á la Hein Mück und Hans Albers, hat es das aus dreißig jungen Profi-Musikern rekrutierte und 12 Nationen umfassende Ensemble bereits mit seinen ersten Auftritten geschafft, sogar ein zumeist klassikfernes Publikum zu begeistern und auch die Musikkritik zu beeindrucken. Die d-Moll-Toccata von Bach, die schon auf allen möglichen Orgeln der Welt bis zum Überdruss durch die Pfeifen gepresst wurde, fasziniert bereits bei den ersten Takten dieses Ensembles mit ungewohnter und selten gehörter Transparenz. Vielen Zuhörern wird dabei erst die Vielschichtigkeit des Orgelwerks bewusst und durch das Akkordeon neu erlebbar gemacht. Ob Vivaldi, Mozart, Brahms oder Ravel, die durchweg jungen Profis – Durchschnittsalter knapp an die 30 – lassen die Klassiker in neuem Glanz erstrahlen, wenn sie ihnen die Patina aus Jahrzehnten symphonischer Heiligenverehrung abstreifen.
Die Internationalität des Orchesters, mit Musikern aus China bis Spanien und von Russland bis Italien, ist dabei ein musikalisch ebenso wichtiges und anregendes Element wie der junge israelische Dirigent Gil Ravéh (34), der sich seine Meriten außerhalb der Akkordeon-Szene mit der Leitung großer Symphonieorchester erworben hat, den aber die Aufgabe fasziniert, ein solches Orchester zu internationalem Format zu entwickeln und der gleich einen Jahresvertrag unterschrieb.
Jetzt hat sich Markus Stockhausen, der Sohn des ebenso berühmten wie berüchtigten Neutöners Karl-Heinz Stockhausen (1928 – 2007) dem Akkordeon zugewandt und dem Orchester eine eigene Komposition quasi auf den Leib geschrieben. Schon bisher fiel Stockhausen, “einer der einfallsreichsten Komponisten Deutschlands” (NDR) und 2012/13 “Artist in Residence” bei den Hamburger Symphonikern, vor allem mit ungewöhnlichen Großprojekten auf. Mal stellte er 1800 Bläser beiderseits des Rheins auf und ließ sie zum 31. Evangelischen Kirchentag 2007 und unter dem Jubel von 100000 Zuschauern ein gewaltiges “Abendglühen” intonieren, mal beschwor er im Auftrag der Niedersächsischen Musiktage mit 800 Amateurmusikern und Sängern am Cuxhavener Seedeich in einer Art neuzeitlicher “Wassermusik” die Zeit und die GeZEITen – “eine pathetische Hymne an einen göttlichen Schöpfer.
Das Spirituelle, das die meisten seiner Komposition durchweht” (Hannoversche Allgemeine) ist auch in seiner Komposition “Ein Glasperlenspiel – Konzert für Solo-Trompete, Harfe und Akkordeon-Orchester” zu spüren. Gleichwohl hat er, unbekümmert von allen Einflüssen sowohl traditioneller als auch sogenannter “zeitgenössischer Tonsprache”, dem Akkordeon mit Verve den Staub aus den Balgfalten geblasen und das ist fast wörtlich zu nehmen: Stockhausen wird bei allen Aufführungen selbst als Solo-Trompeter mitwirken.Dabei schont er weder die Akkordeonisten noch sich selbst als Solist und triezt das Orchester mit vertrackten Takt- und Rhythmuswechseln, wirbelnden Akkord-Stakkati und komplexen Wahnsinnsläufen quer über die bis zu 106 Knöpfe der Konzertakkordeons. Aber die Musiker unterwerfen sich dankbar der Tortur, denn mit dieser Komposition ist Markus Stockhausen nicht nur ein aufsehenerregendes neues Werk sondern auch ein medialer Coup gelungen.
Ungeachtet des sicherlich großen Neuigkeitswerts dieser Hinwendung eines renommierten deutschen Komponisten zum Akkordeon, ist Stockhausen auch diesmal seiner Linie treu geblieben, “frei vom seriellen Denken und der Zwangsweste der Zwölftontechnik das Harmonische und Tonale wieder zuzulassen” (WamS) und hat dem Akkordeon, diesem vielgeschmähten und verkannten Instrument, geradezu mystische Klänge aus dem Balg gezaubert. Die Welt-Uraufführung dieser Komposition wirdam 01. Dezember 2012 im Beethovensaal des Hannover Congress Centers (HCC) zu erleben sein – ein Musikereignis von Rang, das schon jetzt für Aufmerksamkeit in der Musikwelt sorgt, nicht nur in Deutschland sondern auch im europäischen Ausland.
Fachleute der Musikbranche reiben sich verwundert die Augen: Da entsteht quasi aus dem Nichts ein internationales Orchester mit 30 der besten europäischen Talente und mit einem Instrument, das noch vor wenigen Jahren von der etablierten Musikwelt kaum ernst genommen wurde, ein junger Dirigent aus Israel nimmt sich dieses Orchesters an und beeindruckt mit virtuosen Interpretationen klassischer Werke, ein international renommierter Komponist und Trompeter schreibt eine neue Komposition für das Orchester und tritt selbst als Solist bei den Konzerten auf.
Anton Bruckners Verdikt über das Akkordeon erhält jetzt aus aktuellem Anlass eine ganz besondere Note: Das Norddeutsche Philharmonische Akkordeon-Orchester hat gerade vor wenigen Wochen die Einladung zum internationalen Brucknerfest 2013 in Linz erhalten, zusammen mit so renommierten Klangkörpern wie den Wiener Philharmonikern, dem London Symphony Orchestra (LSO), der Sächsischen Staatskapelle Dresden und vielen anderen Stars der internationalen Klassik-Szene. Dort wird das Norddeutsche Philharmonische Akkordeon-Orchester International am 21. September 2013 im Großen Saal des Bruckner-Konzerthauses mit Werken von Bach, Mendelssohn und Bruckner und natürlich auch Stockhausens “Glasperlenspiel” vor ein internationales Publikum treten.
Vielleicht hätte es Bruckner sogar geschmeichelt, zu erleben, dass junge Virtuosen seine Werke auf dem Akkordeon spielen. Auch Cyril Demian konnte nicht ahnen, was er mit seiner Erfindung 180 Jahre später auslösen würde. Es dürfte ihm aber wohl gefallen haben.