Markus Stockhausen: Der einbeinig tänzelnde Trompeter
Stehende Ovationen: Die Formation Quadrivium gibt ein akustisch brillantes Konzert im Hermann-Levi-Saal des Rathauses.
Eine Begrüßung in der Sprache der Einheimischen schafft schon einmal die Basis für ein freundschaftliches und wohlgesonnenes Miteinander. Free-jazzige Töne schickte wohl auch deshalb die Formation Quadrivium um den Trompeter Markus Stockhausen bei ihrem Konzert am Freitagabend im Kulturrathaus als Intro voraus, um dann auch gleich in einem »Es war einmal« zu münden. Keine Bange, das sollte wohl sicherlich kein augenzwinkernder Akzent in Richtung des teilweise aus musikalischen Freigeistern der Gießener Jazz- und Improvisationsszene bestehenden Publikums sein. Denn das Stück »Es war einmal« aus Stockhausens Feder griff vielmehr Reminiszenzen an die klassische Musik auf. Überhaupt zog sich die Verwebung von kammermusikalischen mit zeitgenössischen Jazz-Spielweisen, von Komposition und Improvisation wie ein roter Faden durch das ganze Konzertprogramm. Das akustisch brillante Resultat zog nicht nur stehende Ovationen der rund 100 Zuhörer am Ende des Abends nach sich, sondern war für den Hermann-Levi-Saal des Rathauses bestens prädestiniert. Dort bildete dieses Konzert den Auftakt für die neue, von der Agentur o-tone music (Gießen) und dem Kulturamt der Stadt Gießen veranstaltete Reihe »o-tone sessions«.
Zusammen mit seinen Mitspielern – dem Pianisten Angelo Comisso und dem Schlagzeuger Christian Thomé – hatte Stockhausen als Trio Lichtblick den genannten und weitere an diesem Abend vorgetragene Titel bereits vor Jahren aufgenommen. Für das neu gebildete Quadrivium spannten die drei Musiker nun noch den Cellisten Jörg Brinkmann ein, der sich nicht nur wunderbar in das klingende Konglomerat aus Kunstmusik und Jazz einfügte, sondern überhaupt die klanglichen Facetten dieses nun zum Quartett erweiterten Ensemble kongenial wie solistisch-virtuos zu erweitern wusste. Darum wurden gerade auch die älteren Stücke leicht umarrangiert oder um neue Gedanken ergänzt. So stürzt sich Comisso in »Es war einmal« unter anderem von barock-kontrapunktischen Figuren plötzlich in destruktiv anmutende Klaviercluster, um dann wieder den Weg in das für das Ensemble so typische melodiös-harmonische Klangbild zu finden.
Denn im Zentrum der vom Quartett sich mal schwebend, mal aufbrausend ausbreitenden Klangteppiche einerseits und energisch intonierten improvisatorische Exkurse anderseits steht meist eine lyrische oder melancholische Melodie. So etwa im neuen Werk »Better World«, das mit seinem sanften Cellostrich und meditativen Trompetenklängen thematisch irgendwo im Indischen seinen Ursprung nahm und sich dann von einem hymnischen Motiv aus zu einem impulsiv-expressiven Statement des hierbei einbeinig tänzelnden Trompeter aufschwingt. Sowohl Brinkmann als auch Stockhausen setzten überhaupt zur Erweiterung ihres Klangspektrums auf elektronische Effekte – meist dezent mit Hall und Echo, aber auch mal mit Loops (Cello) zur Hinzufügung von Stimmen oder mittels per MIDI gesteuerte verzerrende Klangverfärbungen (Trompete). Ohnehin wechselte Stockhausen rein instrumental zwischen Trompete, Flügelhorn und Piccolotrompete, um mit entsprechender Klangtemperatur das jeweils »Gesagte« besser und schöner zu charakterisieren. Dabei unterstrich Stockhausen seine Fähigkeit zu einem strahlenden, klaren, geschmeidigen Ton.
Auch das ebenfalls von Stockhausen komponierte, tragend-stampfende »Belfor« sowie zwei improvisatorisch adaptierte Stücke aus zweien seiner eigentlichen Bühnenwerken arbeiten stark mit melodiös-motivischen Verstrickungen. Die Interpretationen sowohl von »Mondtraum« aus der Suite »Olivers Abenteuer« für Kinderorchester als auch das aus einer Theaterproduktionen stammende »Our Father«, welches das »Vater unser« Silbe für Silbe tönend verarbeiten soll, kamen klanglich dem Charakter skandinavischer Jazzformationen nahe. Die Verwendung von folkloristischen Weisen oder Traditionals als Themen in der improvisierten Musik ist nichts Banales, da sich – wie es auch Quadrivium vorzüglich zeigte – daraus spannende Ergüsse oder auch einfach nur wohlklingende Bilder entwickeln können.
Auch Comisso steuerte zwei Kompositionen bei: In »Moths« (Nachtfalter) wird Schlagzeuger Thomé eine tragende Rolle zuteil – mit Händen, Besen und Stöcken gibt er den Insekten Gestalt und wird dabei von seinen Mitmusikern klingend »umschwärmt«. Einen betörenden Abschluss lieferte aber Comissos »Hasmin«. Groovend, treibend und jauchzend zog das Quartett noch einmal alle Register als ästhetisch wohlig gesinnte Klangmaler und -zauberer. Eine humorvolle Zugabe – alle vier um den Klavierflügel versammelt – durfte nicht fehlen.
Ja, Free Jazz könnten sie auch – wie anfangs angedeutet – das Metier der vier Herren ist es aber nicht. Christian Lademann © Gießener Allgemeine Zeitung 2015 – www.giessener-allgemeine.de