Electric Treasures

„Schätze, die ich heben kann…“ – Live at Kunst- und Ausstellungshalle Bonn. Im September 2007 wurde Markus Stockhausen eingeladen, ein besonderes Konzert im Forum der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn zu gestalten, im Rahmen der Ausstellung »Ägyptens versunkene Schätze«.

Im September 2007 wurde Markus Stockhausen eingeladen, ein besonderes Konzert im Forum der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn zu gestalten, im Rahmen der Ausstellung »Ägyptens versunkene Schätze«. Ein thematischer Fokus, der Markus Stockhausen sofort faszinierte, und so beschloss er den Gedanken aufzunehmen und Schätze aus seiner musikalischen Biografie ans Licht zu heben. „Ich habe immer wieder das Konzept verfolgt von Gruppen, die möglichst auch ganz frei improvisieren können. Nicht im Sinne eines Free Jazz, sondern einer Musik, in der auch Strukturen vorkommen können, wie man sie sonst komponieren würde“ erläutert Markus Stockhausen seine Entscheidung, ein improvisierendes Jazzquartett zusammen zu stellen.
Gemeinsam zu improvisieren, gleichsam in Echtzeit zusammen Musik zu komponieren, verlangt ein hohes Maß an Vertrauen. Mit dem norwegischen Bassist Arild Andersen und dem Schlagzeuger Patrice Héral aus Südfrankreich verbindet Markus Stockhausen seit vielen Jahren die gemeinsame Arbeit in verschiedenen Projekten. So war im Jahr 2000 die Einspielung »Kartá« für ECM entstanden. Der Gitarrist Terje Rypdal ergänzte damals das Quartett. „Kartá war ein wichtiger Meilenstein für mich. Die meisten Stücke auf dieser CD waren frei improvisiert. Dadurch kam eine ganz besondere Musik zustande. Auch da war es der erste Moment des Zusammenspiels mit Terje, den wir aufnahmen.“ Seither entwickeln Stockhausen, Andersen und Héral in verschiedenen Kombinationen eine gemeinsame europäische Klangsprache weiter (u.a. mit „Joyosa“, Enja Records 2004), erweitern ihr Vokabular um die elektronischen Möglichkeiten von Samplern, Loops, Harmonizern usw.
Im Januar 2006 fand auf Einladung des Norddeutschen Rundfunks in Hamburg dieses erfolgreiche Zusammenspiel eine Fortsetzung unter dem Titel »Karta II«, hier mit dem italienischen Pianisten Angelo Comisso. In Hamburg erzählte Stefan Gerdes Markus von Vladyslav Sendecki, einem der faszinierendsten Keyboarder Europas. Bereits Jahre zuvor hatte Joachim Ernst Berendt angeregt, die beiden zusammen zu bringen.
Die New Yorker »Village Voice« nennt Vladyslav Sendecki „einen der fünf besten Pianisten der Welt“; den stilsicheren Klangreichtum am Synthesizer stellte er schon mit Jaco Pastorius, Tomasz Stanko, Miroslav Vitous u.v.a. unter Beweis. Der polnische Pianist und der Trompeter Stockhausen verstanden sich auf Anhieb: „Da brauchte man nicht viel sagen. Vladyslav hat so ein breites breites Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten, er ist einer der ganz wenigen, die eine authentische Sprache mit elektronischen Sounds haben, und es war für dieses Projekt meine Bedingung, dass jeder seine Elektronik mitbringt.“
Eine elektrisierende Begegnung
Und so trafen Andersen, Héral, Stockhausen und Sendecki am 21.September 2007 in Bonn auf der Bühne zusammen, um gemeinsam auf Entdeckungsreise nach ihren »Electric Treasures« zu gehen. Vladyslav Sendecki erinnert sich: „Das ist wirklich Abrakadabra, ein solches Meeting passiert nur ein paar mal im Leben. Wir hatten nie ein Wort gewechselt, was da überhaupt angesagt wäre. Dafür ist dieses Dokument eigentlich unfassbar. Wenn man sich grade getroffen hat – und dann entsteht diese Vielfalt. Da ist „Bitches Brew“ drin, ist „Weather Report“ drin, wenn man so will, es ist irgendwo die ganze Welt drin.“
Tatsächlich erinnert die energetische Spannung von »Electric Treasures« an die bahnbrechenden „elektrischen“ Gruppenimprovisationen, mit denen Miles Davis in den siebziger Jahren die Jazzwelt erschütterte – zum Beispiel, wenn Stockhausen den glasklaren Ton seiner Trompete mit dem Ringmodulator verschaltet oder Arild Andersen unbeirrbare Bass-Grooves von geradezu tektonischer Kraft intoniert.
Doch solche Assoziationen bezeichnen nur einen Teil des freien Klangraumes, den die Improvisatoren entfalten: von symbiotischem Einverständnis an der Grenze zur Unhörbarkeit bis zu drängenden FreeBop-Passagen, nervösen BreakBeat-Loops einerseits und sanften Flügelhorn-Hymnen, glasklaren Höhenflügen der Trompete bis hin zu Atmosphären von mystischer Undurchdringbarkeit an anderer Stelle.
Ein außergewöhnlicher Live-Mitschnitt
Wie Vladyslav Sendecki sagt: ’Es ist ein seltenes Glück, wenn eine improvisierte Begegnung wirklich gelingt, wenn die Beiträge aller Beteiligten sich zu einem gemeinsamen Kunstwerk ergänzen’. »Electric Treasures« ist ein solcher Glücksfall. Vom Künstler Rolf Zavelberg mit „Bildern aus Licht“ kongenial in Szene gesetzt, wurde die Interaktion der Musiker zum Erlebnis für die Konzertbesucher.
Und das Erlebnis klingt nach: »Electric Treasures« erscheint jetzt als packende Doppel-CD. „Das ist ein Statement, das ist so für sich gültig, auch wenn das morgen ganz anders klingen wird, aber – es war ein Moment, den es lohnt festzuhalten“ erklärt Markus Stockhausen, und er ergänzt: „Wir hatten auf Verdacht das Konzert mitgeschnitten, man möchte ja immer Demo-Material haben. Vladyslav war der erste, der es hörte und sagte: ‚Da lohnt es sich eine Platte draus zu machen‘.“ Zusammen mit Christoph Schumacher machte Markus Stockhausen die erste Abmischung, dann übernahm der Klangtüftler Walter Quintus die Bearbeitung des Materials und war begeistert: „Wie eine Wundertüte“ empfand er die frei improvisierte Musik des Quartetts.
So erscheint »Electric Treasures« jetzt, nur ein halbes Jahr nach dem Konzert, auf CD und ist mehr als nur die Dokumentation eines bemerkenswerten Live-Ereignisses. »Electric Treasures« hält, was der Titel verspricht: ein elektrisierendes Panorama, eine Schatzkammer voll musikalischen Reichtums von vier der interessantesten Improvisatoren Europas.Tobias Richtsteig

Veröffentlicht:
2008

Künstler:
Markus Stockhausen
Trompete, Elektronics
Vladyslav Sendecki
Keyboards, Klavier
Arild Andersen
Bass, Electronics
Patrice Héral
drums, Perkussion, Gesang, Electronics

Tracks:
Part I
Electric Treasures one 07:28
Electric Treasures two 05:57
Electric Treasures three 09:24
Electric Treasures four 10:54
Electric Treasures five 05:15
Electric Treasures six 06:14

Part II
Electric Treasures seven 10:31
Electric Treasures eight 9:30
Electric Treasures nine 10:57
Electric Treasures ten 07:29
Electric Treasures eleven 06:43

Label
Aktivraum, AR 10107

Erhältlich:
Amazon
iTunes
Spotify
…und im Handel.

oder direkt beim Künstler: music



Guido Diesing in: Jazzthetik.de, 1. Juni 2008

Electric Treasures Live in Bonn

Das hat was: die Möglichkeit, dem Schöpfer in dem Moment, in dem scheinbar aus dem Nichts etwas Neues entsteht, über die Schulter oder gar ins Gesicht zu sehen. Es bleibt der besondere Reiz frei improvisierter Musik, sofern sie sich nicht auf die Neukombination bekannter und sorgfältig einstudierter Muster beschränkt, sondern echte Interaktion beinhaltet.

Mit der Doppel-CD Electric Treasures macht Markus Stockhausen das erste Konzert seines neuen Quartetts mit Arild Andersen (Bass), Patrice Héral (Schlagzeug) und Vladyslav Sendecki (Keyboards) zugänglich, das im September 2007 in Bonn in der Kunsthalle der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wurde. Die Besetzung weckt Erinnerungen an Stockhausens Kartá-Quartett von 2000, in dem er mit Andersen, Héral und Terje Rypdal als viertem Mann gespielt hatte. Rypdals Nachfolger Sendecki wirkt zu keinem Moment des Konzerts wie ein Gast, sondern ist gleichberechtigter Mitspieler, der mit seinen Keyboard-Klängen die Musik entscheidend prägt. Dass der Auftritt im Rahmenprogramm der Ausstellung »Ägyptens versunkene Schätze« stattfand, passt vorzüglich. Schließlich bringt jeder der Musiker die Erfahrungen und gesammelten Reichtümer seiner ganzen Laufbahn wie Schätze mit, um aus dem Moment heraus etwas Relevantes erschaffen zu können. Markus Stockhausens Anspruch, im freien Spiel klare Strukturen zu schaffen, wird so überzeugend erfüllt, dass man beim Hören häufig vergisst, dass es sich nicht um einstudierte Kompositionen mit eingestreuten Improvisationsteilen handelt. Die Musik wird vom ausgiebigen Einsatz elektronischer Effekte bestimmt, erinnert mehrfach an den Miles Davis der 70er Jahre, lässt sich aber nicht eingrenzen. Lyrisches Spiel mit schwebenden Stimmungen steht neben nervösen Ausbrüchen, swingende Passagen neben tastendem Suchen. Hier ist jede Aktion ein Angebot an die Mitspieler. Für den Zuhörer ist es besonders interessant, die Schaltpunkte zwischen verschiedenen Passagen zu verfolgen, an denen sich der weitere Fortgang entscheidet. Das Ergebnis ist verblüffend: eine beeindruckende Demonstration von Kreativität und Gestaltungskraft. Oder, wie Vladyslav Sendecki zusammenfasst: »Es ist ein seltenes Glück, wenn eine improvisierte Begegnung wirklich gelingt, wenn die Beiträge aller Beteiligten sich zu einem gemeinsamen Kunstwerk ergänzen.«

Martin Laurentiu in: jazzthing, 1 Jun 2008

Electric Treasures

Es gibt diese Glücksfälle: Man trifft an irgendeinem Ort aufeinander und „er“-improvisiert eine Musik, ad hoc und ohne vorherige Absprachen, live vor Publikum. Das gibt es nicht? Doch.

Am 21. September 2007 kamen im Rahmen der Ausstellung „Ägyptens versunkene Schätze“ in der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn Markus Stockhausen, Vladyslav Sendecki, Arild Andersen und Patrice Héral zusammen und spielten ein Konzert, das berauschend, das mitreißend war – und das im wahrsten Wortsinn einmalig sein sollte. Die vier gingen auf die Bühne, ohne zu wissen, was geschehen würde, sich auf die eigene Intuition verlassend. Auf das instrumentaltechnische Können, aber auch die Empathiefähigkeit der Mitmusiker vertrauend. Alle elf schlicht als „Electric Treasures“ durchnummerierten Stücke sind exakt in der gespielten Reihenfolge auf der Doppel-CD wiederzufinden. Die Musik dieses Vierers um Stockhausen klingt rauschhaft und prachtvoll, besitzt den Reiz des Neuen und Unbekannten. Sie weist zurück in die Geschichte, hin und wieder werden Erinnerungen an Miles Davis oder Weather Report geweckt. Mal hat sie Struktur und Form, mal ist sie vollkommen frei aus dem Stegreif improvisiert. Immer aber ein echtes Abenteuer. Gut, dass Markus Stockhausen das Aufnahmegerät in Bonn laufen ließ.

Frank Becker in: musenblätter.de, 23 May 2008

Magie der Klänge

Das unvergleichliche Ensemble Markus Stockhausen/Arild Andersen/Patrice Héral wartet mit einem neuen (Doppel-)Album und dem Pianisten/Keyboarder Vladyslav Sendecki als Gast auf: „Electric Treasures“.

Am 21. September 2007 in der klanglich hervorragenden Kunst- und Ausstellungshalle der BRD in Bonn aufgenommen, ist dieses Album ein neuer Markstein nicht nur in der Entwicklungsgeschichte des Trios, sondern ein neues Glanzlicht des zeitgenössischen Jazz. Die von Markus Stockhausen und Aktivraum-Verleger Rolf Zavelberg über Jahre entwickelte Musikphilosophie findet hier erneut ihren essentiellen Niederschlag.
Den kann in seiner Gänze nur genießen, wer sich konsequent ungestört den zweimal gut 45 Minuten der beiden CDs ergibt – und das laut, auf Konzert-Niveau, wie Markus Stockhausen es in seinen einführenden Worten empfiehlt. Dann allerdings (es geht auch mit Kopfhörern, wenn die Wände zum Nachbarn zu dünn sind) taucht man ein, besser: fliegt man weg. Die „Electric Treasures“ erweisen sich in bester Tradition der bisherigen Einspielungen Markus Stockhausens wieder als besonderes Erlebnis von hoher Brillanz. Musikfreunde jeglicher Couleur werden alles darin finden: meditative Kontemplation, wahrhaft elektrische Spannung, traditionelle Elemente, scharfe Gitarrenriffs vom Keyboard, weit geöffnete Türen zu neuen und alten Musikwelten, Reminiszenzen an die Grundlagenarbeit Karl-Heinz Stockhausens, visionäre Musikkonzepte, die wesentlich über das hinausreichen, was der „Markt“ üblicherweise hergibt.
Atemberaubend die Behandlung der Instrumente und Elektronik durch das Quartett, nehmen wir nur „Three“ als Beispiel: hier paart sich instrumentale Genialität, ureigene „Handarbeit“ mit Elementen der Elektronik zu einem furiosen Wirbel. Ein Traum wie ein Sternenspaziergang gleich darauf „Four“ (die Stücke sind der Einfachheit halber durchnumeriert, Titel wären ohnehin Schall und Rauch), in dem Markus Stockhausen seinen Weltrang als Trompeter virtuos belegt. Nahezu jedes Stück featured die Mitspieler ausführlich als Solisten, die dennoch zu einer grandiosen Einheit verschmelzen. Der zarte, ätherische Dialog der Trompete mit dem Kontrabaß zu Beginn von „Five“ berührt tief. Vladyslav Sendecki beherrscht am Keyboard die psychedelischen Klangfarben der 1960/70er, die er nahtlos in das 2000er Konzept einarbeitet. Wuchtig schließt CD 1 mit „Six“ ab…
…um mit „Seven“ auf CD 2 futuristisch und nicht unfern den Klangexperimenten der Kölner WDR-Klangstudios aus den frühen 1950er Jahren den Faden wieder aufzunehmen: Gänsehaut. Dem folgt in sinfonischer Logik das epische „Eight“ mit großen, offenen Weiten. Daß Markus Stockhausen sich an der Trompete durchaus im Rang längst mit den ganz Großen der Jazz-Geschichte messen kann unterstreicht „Nine“ eindrucksvoll, in dem er hinter einem Miles Davis nicht zurückzustehen braucht. Einziges nicht unbedingt stimmiges Element ist Patrice Hérals Stimmbeitrag auf dieser CD. Ohne wäre das Ganze vielleicht noch einen Tic besser gewesen, denn Arild Andersens flüsternder, singender, brummender und tanzender Kontrabaß braucht keine vokale Ergänzung. Die Akustik der Ausstellungshalle, die hervorragende Aufnahmetechnik, das musikalische Konzept und das magische, kongeniale Spiel der vier Ausnahme-Musiker vereinen sich zu einem der schönsten Alben der aktuellen Jazz-Welt mit die Zeitläufe überdauernder Gültigkeit.
Ihnen dringend ans Herz gelegt, liebe Leser!


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