Laudatio bei der Verleihung des JTI Jazz Award an Markus Stockhausen

von Ralf Dombrowski, gehalten in Trier am 2.10.2017

Meine Damen und Herren,
zum ersten Mal begegnete mir Markus Stockhausen über eine seiner Aufnahmen. Sie stammte aus einem Album, für das er viele Preise bekam, was ich allerdings – damals noch ganz naiv hedonistischer Hörer – nicht wusste. Was mir allerdings auffiel, war die Art, mit der hier jemand anders als gewohnt an Musik heranging. Schon der Titel des Stücks, das mich besonders faszinierte, war rätselhaft: „Strahlenspur“, eine schillernde Metapher, die viele Assoziationen zuließ. Und dann der Klang, transparent und energiedurchzogen zugleich, erdenfern und doch verwurzelt. Da war diese hohe Trompete mit Bach-Klang, die sich aus dem synthetischen Flimmern der Keyboards herausschälte, erst beinahe kinderliedhaft fröhlich, dann aber zunehmend bestimmt, bis sie schließlich zu fliegen begann. Dazu das ästhetisch im großen Hall verweilende Klavier von Rainer Brüninghaus, außerdem Fredy Studers filigran eingesetztes Schlagzeug, das von der Haltung eigentlich rockig wirkte, aber anders, dezent, abwartend, aufhorchend eingesetzt wurde. Ich weiß nicht, wie oft ich dieses Stück gehört habe, aber es hatte eine ähnliche Wirkung wie Jahre zuvor „Walking on the Moon“, mit dem Police mich damals von einem Song auf den anderen aus der kindlichen Schlager-Euphorie in die Welt von Punk und New Wave katapultiert hatte. Solche Lieder sind Wegmarken in der eigenen Hör-Sozialisation, sie bewirken etwas, sie öffnen.

Wie auch immer, ich hatte mir also den Namen Stockhausen gemerkt, aber nicht den von Karlheinz, dessen Musik mir unnahbar erschien, sondern den von Markus, des Klangwelt mich erreichte. Damit hatte ich eine Schwelle überschritten, mit der Markus Stockhausen immer wieder umgehen musste. Denn berühmte Väter können helfen, sie können aber auch Erwartungen generieren, denen ein Sohn gar nicht entsprechen will. In diesem Fall allerdings war das Netz der musikalischen Beziehungen eng geknüpft. Schon der Knirps stand auf der Bühne, das Kind lernte Klavier, der Jugendliche Trompete und er wurde schnell so gut, dass er die Werke des Vaters quasi sympathetisch aufführen konnte. 25 Jahre spielte Markus Stockhausen viel Karlheinz Stockhausen, präsentierte Werke von „Sternklang“ und „Sirius“ bis hin zu „Donnerstag aus Licht“, „Samstag aus Licht“.

Aber dabei blieb es nicht. Denn neben der Strenge der Neuen Musik begeisterte den jungen Mann die Freiheit der Improvisation. Er suchte sich Lehrer wie Manfred Schoof in Köln, der ihm erst einiges beibrachte, dann an seiner Seite spielte. Man traf ihn an den einschlägigen Orten wie dem Jazzworkshop in Remscheid und hörte ihn bald auch mit Bands wie Key oder später Riot. Immer wieder kreuzten sich übrigens auch die Wege mit unserem Jury-Mitglied Uli Beckerhoff. Und so wuchs Markus Stockhausen in die zweite Welt hinein, in den Kosmos des Jazz.

Landscapes

Die Achtziger und Neunziger wurden daraufhin erfolgreiche Jahre. Markus Stockhausen hinterließ seine Strahlenspur in der Ära der erstarkenden europäischen Musik. Man hörte ihn mit großartigen Kollegen wie Jasper van’t Hof, Gary Peacock, Ralph Towner, Mark Nauseef, immer wieder auch in Bands mit seinem Bruder Simon. Seine Heimatstadt Köln engagierte ihn für große Projekte, das Goethe-Institut schicke ihn um die Welt, er nahm zahlreiche Platten auf. Gegen Ende dieser Phase hatte ich schließlich die Chance, ihm persönlich zu begegnen, als ich ihn in meiner Funktion als Künstlerischer Leiter eines Festivals auf Schloss Elmau einladen dufte und mit Ferenc Snétberger zusammenbrachte, einem ebenfalls freigeistig sensiblen Musiker, mit dem er sich auch heute noch einiges zu sagen hat.

Es war eine großartige Zeit, für die Künstler, die im postmodernen Anything Goes und angesichts einer galoppierenden Studiotechnik so ziemlich alle Grenzen hinter sich lassen konnten, die sie vormals künstlerisch beschränkten. Eine großartige Zeit auch für uns Journalisten übrigens, die wir noch viel Platz in Medien bekamen, die ihrerseits auch dafür bezahlen wollten, dass wir die Leser und Hörer informierten. Dann wurde der Wind steifer, das Business kälter und manch einer zog sich aus der ersten Reihe zurück. So auch Markus Stockhausen, der sich während der vergangene eineinhalb Jahrzehnte auf eigene Projekte konzentrierte.

Bereits in den Neunzigern startete er die Reihe „Intuitive Musik“, die sich unter anderem auch mit der Verknüpfung von Klang, Tanz und Improvisation befasste. Ein Jahrzehnt lang gestaltete er zusammen mit dem Lichtdesigner Rolf Zavelberg die „Klangvisionen“ in der Kölner St. Maternus Kirche. Zahlreiche klassische und grenzüberschreitende Werke entstanden, für das Franz Liszt Kammerorchester, die Camerata Bern, das Metropole Orkest oder auch ein gigantisches Blechbläserensemble beim Kirchentag in Köln. Mit anderen Worten: Markus Stockhausen war alles andere als inaktiv. Aber es kümmerte ihn kaum noch, ob seine Musik im Down Beat rezensiert oder von der Kritikzunft gelobt wurde. Inzwischen ist er wieder mehr im Gespräch, durch sein Duo mit dem Pianisten Florian Weber beispielsweise, das sie heute Abend hören werden, oder auch durch seine Band Quadrivium.

Was sich aber über all die Jahre nicht verändert hat, ist die besondere Herangehensweise an Musik. Denn für Markus Stockhausen ist sie ein Toröffner für andere Sphären, die dem Menschen sonst verschlossen bleiben würden. Sie ist die Möglichkeit, mit etwas Unbegreiflichem in Kontakt zu treten, das einen durchflutet, trägt und leicht werden lässt. Sie ist die Chance zur Empathie, zu einem Ozean von Empfindungen, erlebbar, nicht wirklich erklärbar. Er lässt diese Offenheit zu, und das macht ihn zu einem bis ins Detail aufmerksamen Partner, der Schwingungen entdeckt, wo andere schon lange nicht mehr hinhören.

Und damit schließt sich für mich der Kreis zur Strahlenspur von damals. Denn Markus Stockhausen hat sich dieses Leuchten in der Musik erhalten. Mehr noch: Er hat es wachsen lasen, neue Farben hinzugefügt, andere Zugänge gefunden. Für mich und für uns alle in der Jury macht ihn das zu einem Preisträger, vor dessen Kunst wir uns tief verneigen. Und für den ich mich von Herzen freue, dass wir ihm den JTI Trier Jazz Award 2017 überreichen dürfen.

Danke Markus!




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